Vom Denkinhalt
Vom Denkinhalt via UNITYP zur Einzelsprache
Hansjakob Seiler
1. Voraussetzungen (z.T. wiederholt)
Wir nehmen an, dass es möglich ist, Sachverhalte des Lebens mental als strukturierte Denkinhalte zu erfassen. Damit stehen wir im Gegensatz zu Ferdinand de Saussure, der davon spricht: ″Prise en elle-même, la pensée est comme une nébuleuse où rien n’est nécessairement délimité.″ (Saussure, 1931: 155).
2.
Die zwischenmenschliche Kommunikation beginnt bei der Umsetzung der Denkinhalte in ein semiotisches System. Als solches bietet sich eine kontinuierliche Ordnung zunächst von Funktionsrollen an.
Logik und Ökonomie unseres weiteren Vorgehens verlangen, dass wir uns auf ein bestimmtes Datenkorpus beschränken. Wir stützen uns auf die im Kapitel ″UNITYP weiter″ unter Punkt 2 behandelte Dimension der IDENTIFIKATION [ID] und auf das dortige Schema S3.
Zur leichteren Orientierung geben wir hier bezüglich Schema S3 die Abfolge der involvierten Funktionsollen
CHAR LOC QUAL © ZUGEH QUANT DEIX
abbildbar auf ein grammatisches Kategoriensystem
CHAR LOC QUAL © ZUGEH QUANT DEIX
Rel.Satz Präp.Attr Appos Nominal Adj Zahlwö Dem.Pron
Rel.Ptz Adn. Adv Adj Gen Koll.Phr Art
Appos Appos Gen
Abkürzungen:
CHARakterisierung, LOCalisierung, QUALification, © Wendepunkt. ZUGEHörigkeit, QUANTificiation, DEIXis
3.
Alle Strukturen unserer Dimension weisen entspreched ihrer Position im Kontinuum je einen Anteil an Indikativität [ind] und einen Anteil an Prädikativität [präd] auf. Wie uns das Schema S3 zeigt, überwiegt Prädikativität in der ‚linken‘ Hälfte des Kontinuums und Indikativität in der zweiten Hälfte rechts vom Wendepunkt ©.
Wie man an den Beispielen (Abschnitt 5.) wird ablesen können, erfordert Prädikativität kaum weitere Bemerkungen.
Dagegen verlangt Indikativität vom Wendepunkt bis Endpunkt zusätzliche Ergänzungen, die nicht ohne Hinzuziehen der Sprachdaten beigebracht werden können. Ein Blick auf die grammatischen Entitäten in ihrer Abfolge zeigt, dass deren Anzahl von ‚links‘ nach ‚rechts‘ abnimmt.
Indikativität beinhaltet primär eine kommunikative Funktion: ‚zeigen‘. Prädikativität beinhaltet nicht primär eine kommunikative Funktion, sondern primär eine semantische Funktion: ‚darstellen‘.
4.
Welche indikativen kommunikativen, nicht-segmentalen Signale können wir in unseren Beispielen ausmachen? Sie können unter dem Begriff der Pragmatik zusammengefasst werden: (Das kontinuierliche Verhalten der Pragmatizität als Partner der Indikativität wurde im Rahmen der Dimension der APPREHENSION eingehend beschrieben (Seiler, 2009: 12 f.)).
(a) Wortstellung
(b) Gegensatzbetonung
(c) Instigator (Anforderer einer ID)
Diese nicht-segmentalen zeichenartigen Funktionen sind in der rechten Hälfte des Feldes dominant, in der linken als rezessiv erkennbar, in den Erläuterungen zu den Beispielen verbalisiert. Das Siglum [ind] dient für beides.
5. Die Beispiele
(1) CHAR
welchen ich küssen werde [präd], der ist’s [ind].
Deutliche Distanz [präd]–[ind]
(2) LOC
wo gut (ist) [präd], da (ist) Heimat [ind].
Lat. ubi bene, ibi patria
Korrelativ: weniger Distanz
(3) QUAL
Er hat [ind] eine Narbe auf der Stirn [präd]
Noch weniger Distanz
(4) Nominal © Wendepunkt
(4i) Hansjakob [präd] Seiler [ind]
Reihenfolge: ‚erst‘ ist wählbar: wichtiger
(4ii) Seiler [ind] Hansjakob [präd]
Listenartig: ‚erst‘ nicht wählbar: wichtiger in Listen
(5) ZUGEH
dér [ind] mit der Zipfelmütze [präd]
Instigator: ″welcher ist es (unter mehreren)?″
(6) QUANT
(6i) die heiligen [präd] drei [ind-präd] Könige
Identifikation durch markierte Wortstellung: ‚Drei-heit‘ gehört wesentlich zur ID
von ‚Könige‘ (vgl. Seiler, 2000: 44)
(6ii) die drei heiligen Könige
Normale Wortstellung, nicht ID, sondern Determination
(7) DEIX
Wer da? – ich / der Wildhüter
[ind?] [präd?]
Instigator: wer provoziert ID?
Distanz [ind]–[präd]
(8) DEIX-Amalgam
(8i) díeser Láfontaine
[ind/präd]
Hervorhebungsakzent, ID im Sinne von
″dieser schreckliche oder tüchtige L.″
[präd] [präd]
(8ii) dieser Lafontaine
unmarkierte Tonverhältnisse: nicht ID, sondern Determination als
Gegensatz:
″dieser (Oskar) L. vs. jener (Jean de…)″
Literatur
Saussure, Ferdinand de. 1931. Cours de Linguistique Générale. Paris: Payot.
Seiler, Hansjakob. 2009. The Continuum of Pragmaticity: A Sketch. In Johannes Helmbrecht et al. (eds.), Form and Function in Language, 11–21. Papers in Honour of Christian Lehmann. Berlin/New York: Mouton de Gruyter.
Seiler, Hansjakob. 2000. Attribute Ordering in Modern Standard German Revisited. In Hansjakob Seiler, Language Universals Research: A Synthesis, 44–53. Tübingen: Gunter Narr Verlag.