Biographie
Hansjakob Seiler wurde am 16. Dezember 1920 in München als Sohn Schweizer Eltern geboren. Nach Rückkehr der Familie in die Schweiz (1933) legte er 1947 die Maturaprüfung am Gymnasium der Kantonsschule in Zürich ab, wo die Familie später lebte.
Als Student der Klassischen Philologie an der Universität Zürich (1940–1947) begann er, sich für die Sprachwissenschaft zu interessieren. Zunächst beschäftigte er sich mit altindogermanischen Sprachen, dem Sanskrit und dem Altiranischen unter dem Indogermanisten Manu Leumann. Bald wandte er sich den modernen Sprachen Europas zu, den slawischen Sprachen, aber insbesondere dem Neugriechischen. 1947 erlangte er das Diplom für das höhere Lehramt in den alten Sprachen und das Doktorat der Philosophie mit der These „Die primären griechischen Steigerungsformen“, die 1950 in Hamburg erschien.
In Paris (1947–1950) machte er sich mit den theoretischen Grundlagen des französischen Strukturalismus vertraut. Dort belegte er die Kurse von Émile Benveniste – laut Seiler einer der „Pioniere der Sprachuniversalienforschung“, den er als Mentor betrachtete und der seine Arbeit beeinflusst hat. In den folgenden Jahren war er als Forschungsassistent beim C.N.R.S. (centre national de la recherche scientifique) tätig, wo er sich auf die Erforschung des modernen Griechischen konzentrierte. Ergebnis war die Monographie „L’aspect et le temps dans le verbe néo-grec“, Paris 1952. Les Belles Lettres, die er als Habilitationschrift der Universität Hamburg vorlegte.
In Hamburg (1951-53 und 1956-59), wo er als Dozent, danach als Professor lehrte, pflegte er intensive Kontakte mit den dort ansässigen Seminaren ausser-europäischer Sprachen. Mit profunden Kenntnissen des europäischen funktionalistischen Strukturalismus begab er sich in die USA als Stipendiat der Rockefeller Foundation (1953-1955), um die amerikanische strukturalistische Tradition kennen zu lernen. Dort machte er sich u.a. auch mit den indianischen Sprachen vertraut. 1955 wurde er Forscher des „Survey of California Indian Languages“ in Berkely unter der Leitung von Mary Haas. Mittels eines anthropologisch-linguistischen Zugangs zur Sprachforschung studierte er die Sprache der Cahuilla (der nordamerikanischen vom Aussterben bedrohten Indianer im Süden Kaliforniens) und verfasste eine Grammatik, ein Wörterbuch und eine Textsammlung mit englischer Übersetzung.
Zurück in Deutschland (1956) nahm er seine Arbeit in Hamburg wieder auf. Kurz danach (1959) wurde er auf den Lehrstuhl für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft am Institut für Sprachwissenschaft der Universität zu Köln berufen. Die Kommission, die ihn als Nachfolger von Prof. Dr. Hans Karstiens empfahl, beschrieb Seilers Forschungsinteressen wie folgt (in einem Gutachten von 1959): „Seine Forschungen nahmen ihren Ausgang von der Basis der klassischen Philologie (…). In seiner Habilitationsarbeit sowie in einer Reihe von ebenfalls dem Neugriechischen gewidmeten Aufsätzen überwiegen die Fragestellungen des ‚klassischen‘ Strukturalismus in Laut- und Formenlehre und Syntax.“
1965 ging Seiler erneut in die Staaten, wo er u.a. als Fellow am Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences in Stanford, Kalifornien (1965–1966) und als Gastprofessor den anders gearteten amerikanischen Strukturalismus sowie dessen Negierung durch die Generative Grammatik kennenlernte. Unterdes wurde in Köln auf Seilers Antrag das Institut für Sprachwissenschaft in zwei getrennte Studienfächer geteilt: eines für Allgemeine Sprachwissenschaft, das andere für Historisch-Vergleichende Sprachwissenschaft (damals unter der Leitung von Professor Jürgen Untermann). Nach Seilers Rückkehr richtete er ebenda zusammen mit Untermann 1967 unter dem Titel „Sprachwissenschaftliche Werkstatt“ einen Linguistischen Arbeitskreis ein, der später als Kolloquium weitergeführt wurde.
Die Erfahrungen mit den Sprachen der Welt und die langjährige Beschäftigung mit sprachtheoretischen Fragen bildeten die Grundlage für Seilers wichtigsten Beitrag zur Sprachwissenschaft: das Projekt UNITYP (1972-1992), ein umfassendes Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1978-1992), das für die Forschungstätigkeiten des Kölner Instituts für Sprachwissenschaft von zentraler Bedeutung war. In dem Projekt beantwortete er Fragen nach universellen Grundgesetzen der weltweit gesprochenen Sprachen und nach Sprachtypologien. Seiler brachte Linguisten, deren Spezialgebiete nach Möglichkeit die Vielfalt der Sprachen reflektierten, mit Logikern, Philosophen und Neurologen zusammen. Basierend auf der Annahme, dass der Mensch überall die gleichen Erfahrungen mit seiner Umwelt und seiner eigenen Existenz macht und dass er diese Erfahrungen in seiner Gedankenwelt als grundlegende Konzepte verarbeitet, postulierte er in seinem UNITYP-Projekt einerseits, dass gewisse Konzepte in allen Sprachen der Welt ihren Ausdruck haben; andererseits, dass den Sprachen jeweils eine mehr oder weniger breite Auswahl an formalen Lösungen zur Verfügung steht. Dadurch erklärt sich laut Seiler die Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten für ein und dasselbe Konzept, die man im Quersprachenvergleich findet. Seiler betreute das Projekt nach seiner Emeritierung und noch bis 2002.
Die Bestände von Seilers Privatbibliothek, die er über ein halbes Jahrhundert gesammelt hat, übergab er 2001 der Aargauer Kantonsbibliothek zur Nutzung. Die Privatbibliothek umfasst Werke der Klassischen Philologie, der Philosophie, des Strukturalismus und der Sprachtypologie, Sprachbeschreibungen und insbesondere eine umfangreiche Sammlung zu amerikanischen Indianersprachen, darunter auch seltene Publikationen aus Nord- und Mittelamerika. Sie widerspiegelt das breite Interesse des Sprachforschers und bietet sich als wertvolles Korpus für Sprachtheoretiker, Universalienforscher, Sprachtypologen und allgemein an der menschlichen Sprache Interessierte an.
Nach seiner Emeritierung lebte Seiler in Lenzburg (Schweiz) und arbeitete an den Problemen der Universalität in der Sprache weiter.
Am 13. August 2018 ist Hansjakob Seiler im hohen Alter von 97 Jahren gestorben.
Quellen: WIKIPEDIA, Aargauer Kantonsbibliothek, Jacques François et Pierre Swiggers, Hansjakob Seiler: notice bio-bibliographique; Leuven, Centre international de dialectologie générale, 2008, pp. 23-42.