Forschungsprojekte der HVS
In der Abteilung Historisch-Vergleichende Sprachwissenschaft sind oder waren folgende Forschungsprojekte angesiedelt:
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Conversational priming in language change 01/01/2021–31/12/2022
Dieses Projekt beschäftigt sich mit Sprachwandel, insbesondere mit Wandel im Bereich der Grammatik. Es untersucht die Frage, wie grammatikalische Neuerungen sich in einer Sprechergemeinschaft verbreiten und letztendlich zur Norm werden. Das Hauptziel ist, zu ergründen, inwieweit das Konzept von Conversational Priming durch konventionalisierte Wiederholungen als Antworten auf Entscheidungsfragen die Verbreitung neuer Formen begünstigt, da dies ein wichtiger Faktor sein könnte. Dazu untersucht das Projekt zunächst Wandel im Bereich der Grammatik. Es ist jedoch durchaus möglich, dass auch Wandel im Bereich des Lexikons oder der Phonologie auf diese Weise begünstigt wird. Wiederholende Antworten (Wiederholungen) sind in vielen Sprachen zusätzlich zu oder anstelle von Partikeln wie ja und nein zu finden (vgl. Holmberg 2016; Enfield et al. 2019; Gipper 2020). In diesen Sprachen wiederholt ein Gesprächspartner eine Entscheidungsfrage des anderen Gesprächspartners (oder einen Teil davon), um sie zu beantworten. Verwendet Sprecher A also eine innovative Form in einer Frage, wird Sprecherin B sie wahrscheinlich wiederholen. Da Sprecherin B diese Form nun aktiv verwendet, gelangt sie leichter in ihr eigenes grammatikalisches System. Unter der Annahme, dass sich Neuerungen im Bereich der Grammatik auf diese Weise verbreiten kann man erwarten, dass es zu Asymmetrien hinsichtlich der Geschwindigkeit, in der sich solche Neuerungen ausbreiten, kommt. Zum Beispiel sollten sich innovative Verbformen in Sprachen mit Personenmarkierung schneller in der 3. Person Singular als in der 1. und 2. Person Singular ausbreiten. Denn in einer Sequenz aus Frage und Antwort muss ein Verb in der 3. Person exakt wiederholt werden, während ein Verb in der 1./2. Person nicht exakt wiederholt wird. Dies wird in dem folgenden Beispiel aus dem Russischen deutlich, wo das finite Verb wiederholt werden muss um eine Entscheidungsfrage zu beantworten:
(1) Ty letiš’ v Pariž? – Leču. / Ne leču.
‘Wirst du nach Paris fliegen?’ – ‘Ja.’ / ‘Nein.’
(2) Ja leču v Pariž? – Letiš’. / Ne letiš’.
‘Werde ich nach Paris fliegen?’ – ‘Ja.’ / ‘Nein.’
(3) Masha letit v Pariž? – Letit. / Ne letit.
‘Wird Masha nach Paris fliegen?’ – ‘Ja.’ / ‘Nein.’
Wenn gezeigt werden kann, dass solche synchronen Asymmetrien sich in der diachronen Entwicklung von bestimmten grammatikalischen Formen widerspiegeln, stellt dies klare Evidenz zugunsten der Hypothese dar, dass Conversational Priming ein wichtiger Faktor bei der Verbreitung neuer Formen im Bereich der Grammatik ist.
Die Arbeitshypothese liegt thematisch im Kernbereich der Key Profile Area VI Skills and Structure in Language and Cognition der UzK, die „die Spannung zwischen dem je individuell verschiedenen Verhalten von Personen, die sprachlich kommunizieren, und den generellen Strukturen, die aus ihrer Interaktion entstehen“, untersucht. Der Erfolg des Projekts würde einen Schritt zum Hauptziel der Key Profile Area VI bedeuten, d.h. „ein neues Modell von Sprache und Kommunikation zu entwickeln“ und dabei „die folgenden drei Ebenen miteinander zu verknüpfen: individuelles Verhalten, die sich daraus immer wieder neu kristallisierenden sprachlichen Strukturen und die zugrundeliegenden kognitiven Mechanismen“.
Referenzen
Enfield, Nick J., Tanya Stivers, Penelope Brown, Christina Englert, Katarina Harjunpää, Makoto Hayashi, Trine Heinemann, Gertie Howmann, Tiina Keisanen, Mirka Rauniomaa, Chase W. Raymond, Federico Rossano,Kyung-Eun Yoon, Inge Zwisterlood & Stephen C. Levinson. 2019. Polar Answers. Journal of Linguistics 55(2). 277–304.
Gipper, Sonja. 2020. Repeating Responses as a Conversational Affordance for Linguistic Transmission: Evidence from Yurakaré Conversations. Studies in Language 44(2). 281–326.
Holmberg, Anders. 2016. The Syntax of Yes and No. Oxford: Oxford University Press.
Differential subject marking in Old Indo-Iranian 2018–2020
Das Vedische verfügt beim Nominativ Plural der a-Stämme (z.B. áśva- ʻPferdʼ) über zwei Formen, eine auf -ās (áśvās ʻPferdeʼ), und eine auf -āsas (áśvāsas ʻPferdeʼ). Entsprechungen dieser beiden Formen des Nominativs Plural finden sich auch im Avestischen und Altpersischen (av. -ā̊ : ap. -ā : ved. -ās vs. av. -ā̊ŋhō : ap. -āha : ved. -āsas), sodass diese Variation wahrscheinlich bereits im Urindoiranischen vorhanden war.
Ziel des Projekts ist es, die ursprüngliche Verteilung dieser beiden Varianten zu untersuchen. Dazu werden primär Daten des Vedischen herangezogen, da dem altiranischen Textkorpus nicht genügend Daten entnommen werden können, die für die Untersuchung dieser Variation relevant sind. Aufgrund einer ersten, vorläufigen Untersuchung der Daten werden dabei folgende Arbeitshypothesen aufgestellt: (i) Das Merkmal, das durch die Opposition -ās vs. -āsas ausgedrückt wird, ist ein Merkmal der gesamten Nominalphrase, da bei Auftreten der langen Endung -āsas jeweils nur eine Form innerhalb einer Nominalphrase ebendiese lange Endung trägt. (ii) Die Funktion der beiden Formen ist es, anzuzeigen, wo Nomina sich auf der Agentivitätsskala befinden. Dabei wird -āsas verwendet um einen hohen Grad an Agentivität anzuzeigen, -ās hingegen um einen niedrigeren Grad anzuzeigen. (iii) Die lange Form -āsas ist auf eine alte Univerbierung der kurzen Form (Ved. -ās < uridg. *-ōs) mit dem Nominativ Plural des indogermanischen Reflexivums *=s-es zurückzuführen.
Erweisen sich die Hypothesen (i) – (iii) als korrekt, lässt sich für das Frühurindogermanische eine Opposition wie *sutó-es ʻSäfteʼ (>> ved. sutā́s ʻSäfteʼ) vs. *sutó-es=ses ʻSäfte selbstʼ (>> ved. sutā́sas ʻSäfteʼ) annehmen. Möglicherweise wurde *=s-es ursprünglich als Intensivierer, ähnlich wie das englische John himself opened the meeting verwendet. Unter dieser Annahme ist es aus typologischer Sicht nicht ungewöhnlich, dass dieses Element sich zu einem Marker für hohe Agentivität entwickelt hat.
In Kollaboration mit dem Sonderforschungsbereich 1252 Prominence in Language
Leitung: Prof. Dr. Eugen Hill, Dr. Michael Frotscher
Wissenschaftlicher Mitarbeiter: Pascal Coenen M.A.
Lexikon des altarmenischen Verbs (DFG/ Heisenberg Stipendium) 01/01/2018–30/09/2018
Das Altarmenische ist seit Beginn seiner Überlieferung im 5. Jh. n. Chr. in Form der Bibelübersetzung in einer ununterbrochenen Tradition bis in die Gegenwart belegt und bietet ein reichhaltiges Textkorpus, das sowohl aus Übersetzungen v.a. theologischer und philosophischer Werke aus dem Griechischen und Syrischen als auch aus armenischen Originaltexten besteht. Der Umfang des armenischen Textkorpus an übersetzten und Originaltexten erlaubt einerseits vergleichende Studien bezüglich des Sprachgebrauchs in beiden Textsorten und andererseits gezielte Einzelstudien etwa zur verbalen Morphosyntax. Das Ziel des Projekts ist die Erstellung eines Wörterbuchs der in diesem umfangreichen Korpus belegten Verben. Die letzte ausführliche Arbeit zum altarmenischen Verb stellt das Werk von Klingenschmitt (1982) dar, das sich mit Fragen der Stammbildung und Etymologie ausgewählter armenischer Verben befasst. Während Olsen (1999) eine umfassende Studie zum Nomen in der armenischen Bibelübersetzung v.a. unter dem Aspekt der Wortbildung und Etymologie vorgelegt hat und Matzinger (2005) die Vorgeschichte der Substantivflexion behandelt, fehlt eine vergleichbare Arbeit für das armenische Verb: es existiert bislang keine umfassende Darstellung der im altarmenischen Textkorpus belegten Verben hinsichtlich ihrer Bedeutung, Konstruktionsmuster und Etymologie. Die einzige synchrone Grammatik des Altarmenischen in deutscher Sprache, die ausführlicher auch die Verbsyntax behandelt, ist die Arbeit von Jensen (1959: 133-224) („Lehre vom Satz“). Wie zuletzt von Ziegler (2014) gezeigt, sind Jensens Angaben bzgl. der Konstruktionsmuster einzelner Verben aber z. T. unvollständig oder irreführend, abgesehen davon, dass es nicht das das Ziel seiner Grammatik ist, eine vollständige Darstellung aller altarmenischen Verben zu bieten. Die lexikographische Aufarbeitung des Altarmenischen insgesamt befindet sich im Wesentlichen auf dem Stand des Venediger Wörterbuchs von Awetik’ean, Siwrmêlean und Awgerean (1836, repr. 1979), das, insofern es auf Armenisch verfasst ist und darüber hinaus nur summarische Bedeutungsangaben auf Griechisch und Latein gibt, für die westliche Forschung außerhalb des engen Zirkels der Armenolog*innen selbst weitestgehend unzugänglich ist. Das Projekt will diesem Zustand in Bezug auf das altarmenische Verbum abhelfen, indem es anhand eines für den altarmenischen Sprachstand des 5.-7. Jahrhunderts repräsentativen Korpus die armenischen Verben hinsichtlich ihrer Verwendung (Bedeutung, Konstruktionen) und Etymologie, sei es als Erbwort, sei es als Lehnwort, als primäre oder sekundäre Bildung, darstellt.
Awetik’ean, G., X. Siwrmêlean, und M. Awgerean. 1836. Nor bargirk’ haykazean lezowi. Venice.
Jensen, Hans. 1959. Altarmenische Grammatik. Heidelberg: Winter.
Klingenschmitt, Gert. 1982. Das altarmenische Verbum. Wiesbaden: Reichert.
Matzinger, Joachim. 2005. Untersuchungen zum altarmenischen Nomen : die Flexion des Substantivs. Dettelbach: Röll.
Olsen, Birgit Anette. 1999. The noun in Biblical Armenian : origin and word formation ; with special emphasis on the Indo-European heritage. Berlin ; New York: De Gruyter.
Ziegler, Sabine. 2014. „Zur Syntax und Semantik von alt- und mittel- armenisch ‚Beten‘ und ‚Glauben‘: Ein Vergleich zwischen eigenständigen und übersetzten Texten“. MSS 68/2:267–85.
Divine Epithets in Ancient Greece (DAAD) 2011–2012
mit Prof. Mario Cantilena (Università Cattolica del Sacro Cuore, Mailand)
Die Personennamen der sabellischen Sprachen (DAAD) 2008–2009
mit Prof. Paolo Poccetti (Università Roma/Tor Vergata, Roma)
Zur valenzbasierten Klassifizierung der indogermanischen (Verbal-)Wurzeln (DAAD) 2003–2005
mit Prof. Marina Benedetti (Università per Stranieri, Sienna)
Grammatik des Thessalischen (DAAD) 2003–2004
mit Prof. Bruno Helly (Maison de l'Orient Jean Pouilloux, CNRS - Université Lumière, Lyon 2)
Verbalcharakter, Suppletivismus und morphologische Aktionsarten des indogermanischen Verbs (DFG) 1999–2006
Die Hauptziele des Vorhabens Verbalcharakter, Suppletivismus und morphologische Aktionsarten des indogermanischen Verbs bestehen darin, auf der Grundlage von vorwiegend einzelsprachlichen Untersuchungen den Verbalcharakter und die Bedeutung(en) einer Reihe von indogermanischen Verbalwurzeln und damit die präaspektuelle Funktion (Aktionsart) der Primärsuffixe, die bei ihnen belegt sind, zu bestimmen. Diese Untersuchungen, die einzeln veröffentlicht werden sollen, stellen eine unentbehrliche Voraussetzung für das Studium der Verbalkategorien dar und sollen daher in die Vorarbeiten für die Erarbeitung des Bandes "Morphosyntax des idg. Verbums" einfließen, mit welcher der Antragsteller beauftragt wurde. In einer zweiten Phase des Projekts soll (a) Defektivität und Suppletivismus in den anderen indogermanischen Sprachen untersucht und (b) darauf basierend eine Typisierung der verbalen Suppletionsverhältnisse vorgenommen werden.
Kontaktperson: José Luis García Ramón